Kälberdurchfall ist ein ernstes Problem. Die Hälfte aller Todesfälle bei Kälbern geht auf Neugeborenen-Durchfall zurück. Vor allem in den ersten Lebenstagen können sich Bakterien Viren und Kryptosporidien (Einzeller) im Darm ansiedeln, die Darmwand schädigen und zu einer Durchfallerkrankung führen. Das Durchfallkalb kann dann Wasser nicht mehr richtig aufnehmen und trocknet aus. Schwere Verlaufsformen des Kälberdurchfalls und deren Folgeerkrankungen z.B. der Atemwege können das Kalb für das ganze restliche Leben beeinträchtigen.

Durchfall bei jungen Kälbern stört das Gleichgewicht des Säure-Base-Haushalts sowie die Elektrolyt- und Energiebalance. Deshalb ist es wichtig, bei den eingesetzten Elektrolyttränken auf die richtige Zusammensetzung und die Tränkemenge zu achten.

Kälberdurchfall ist eine Faktorenkrankheit. Das heißt, statt einer Ursache gibt es mehrere Faktoren, die die Erkrankung begünstigen. Um Neugeborenen-Durchfall zu vermeiden, sollten folgende Faktoren berücksichtig werden:

Faktor Umgebung

  • hygienische Bedingungen im Abkalbe- und Kälberstall
  • Stress bei Umstallung oder Transport
  • allgemeines Stallklima
  • Belegdichte
  • Witterungsbedingungen (nasse Kälte)

Faktor Tier

  • Schwergeburten und ihre Folgen
  • Qualität der Biestmilch
  • V.a. bei Erstkalbinnen Qualität und Menge der Biestmilch

Vor allem in einem gestörten Darmmilieu breiten sich die infektiösen Erreger aus, die Kälberdurchfall auslösen. Die häufigsten Erreger sind

  • Viren (Rotavirus, Coronavirus)
  • pathogene Bakterien (E. coli)
  • Einzeller wie Kryptosporidien

Eine Durchfallerkrankung beim Kalb kann ganz unterschiedlich verlaufen. Der Grad der Erkrankung lässt sich an der Konsistenz des Kotes sowie am Aussehen und Verhalten des Kalbes erkennen. In der Tabelle sind wichtige Merkmale aufgelistet, die Ihnen helfen, den Grad der Erkrankung einzuschätzen.

Leichte Erkrankung Schwerere Erkrankung Besorgniserregend Alarmstufe „rot“
Kot des Kalbs „Teigig“ Pastös Flüssig, bleibt aber auf der Einstreu, ggf. mit Blut und Schleim Wasserdünn, rinnt durch die Einstreu, ggf. mit Blut und Schleim
Aussehen des Kalbs Sauber Hinterteil leicht verschmutzt Hinterteil stark verschmutzt, Hinterbeine kotig Hinterteil sehr stark verschmutzt, Schwanzbereich und Hinterbeine kotig
Verhalten des Kalbs Munter, aufmerksam / neugierig, mit Spieltrieb Aufmerksam, aber mäßig aktiv ohne Spieltrieb Träge, oft in Brustlage, aber in der Lage aufzustehen Teilnahmslos, schwach, Seitenlage ohne Fähigkeit,  aufzustehen
Kondition / Gewicht des Kalbs Sehr gute Fettabdeckung, Knochen nicht sichtbar, aber eben noch tastbar Gute Fettabdeckung, Wirbelsäule und untere Rippen sichtbar, Knochen gut tastbar Wenig Fettabdeckung, Knochen sichtbar Keine Fettabdeckung, Knochen deutlich sichtbar
Bauch des Kalbs Gut gefüllt, nicht aufgezogen Mäßig gefüllt, leicht aufgezogen Eingefallen, aufgezogen Kaum gefüllt
Dehydrierungsstufe des Kalbs Hautfalte vergeht sofort, Augäpfel normal Hautfalte bleibt ca. 4 Sekunden, Augen leicht eingesunken Hautfalte bleibt ca. 6 Sekunden, Augen mäßig eingesunken Hautfalte bleibt über 6 Sekunden, Augen stark eingesunken

Über den reinen Augenschein hinaus sollten schnellstens eine Einzeltieruntersuchung und ggf. auch eine Bestandsuntersuchung erfolgen. Die tierärztliche Diagnose ist die Basis für die Behandlung. Von ihren Ergebnissen hängt es auch ab, ob weitere Maßnahmen wie bakteriologische Untersuchungen, Kotausstriche oder Sektionen erforderlich sind. Denn Neugeborenen-Durchfall kann innerhalb von 12 bis 48 Stunden zum Tod führen.

Die beste Vorsorge ist die Vermeidung aller Faktoren, die Kälberdurchfall begünstigen. Das bedeutet:

  • höchste Sauberkeit in Abkalbe- und Kälberstall
  • ggf. Geburtshilfe (v.a. bei Erstkalbinnen)
  • ggf. Impfung der Muttertiere
  • Stressreduktion bei Muttertier und Kalb
  • höchste Vorsicht und Hygiene bei Kontakt mit kranken Tieren
  • sofortige Trennung von kranken und gesunden Kälbern
  • Minimieren von Infektionsgefahren
  • ausreichend hochwertige Biestmilch (10% des Körpergewichts innerhalb der ersten 24 Stunden)

Durch den Durchfall können die Nährstoffe der Milch vom Kalb nicht mehr richtig aufgenommen werden. Die Folgen für das Kalb sind

  • Austrocknung
  • Unterzuckerung
  • Übersäuerung des Blutes

Damit schwindet der lebensnotwendige Saugreflex, ohne den die Kälber keine Milch mehr aufnehmen, und die Vitalität der Tiere nimmt rapide ab. Im schlimmsten Fall sterben die Kälber.

Vom ersten Lebensmoment an spielt die Tränke eine wichtige Rolle. Richtiges Tränkemanagement trägt dazu bei, das Kalb gesund und durchfallfrei zu erhalten. Für das Durchfallkalb ist das Tränkemanagement im wahrsten Sinn des Wortes (über)lebenswichtig!

Ein gesundes Kalb benötigt in den ersten Lebenswochen 10% seiner Körpermasse und damit ca. 7,3 Liter Flüssigkeit, während ein Durchfallkalb täglich zwischen 6 und 10 Litern Flüssigkeit verliert. Dieser Verlust muss durch eine ausgewogene Mischung von Milch- und Elektrolyttränke ausgeglichen werden.

Der Erfolg der gesamten Behandlung hängt davon ab, wie schnell das Durchfallkalb über das Maul (oral) mit allem Notwendigen versorgt wird. Die Elektrolyttränke versorgt das Kalb nicht nur mit Flüssigkeit, sondern beugt auch einer Übersäuerung des Blutes (Azidose) vor. Ihre Inhaltsstoffe sollen das Kalb auch stärken und seine Körperfunktionen, z.B. den Saugreflex, erhalten und unterstützen. Zu den Inhaltsstoffen einer wirksamen Elektrolyttränke gehören daher neben Flüssigkeit

  • Elektrolyte
  • Glucose
  • Pufferbasen
  • essenzielle Nährstoffe

Elektrolyte, die lebensnotwendigen Mineralstoffe

Die positiv geladenen Ionen Natrium, Kalium (Kationen) und das negativ geladene Ion Chlorid (Anion) erfüllen im Körper des Kalbes wichtige Aufgaben.
Natrium bildet das osmotische Elektrolyt-Skelett des Blutes und verursacht somit bei einem Mangel die Austrocknung des Körpers. Deshalb muss Natrium in der richtigen Menge in Elektrolyttränken vorhanden sein, um die Verluste, die bei Durchfall entstanden sind, schnell zu korrigieren: Elektrolyttränken, die Natrium in zu niedrigen Konzentrationen enthalten, sind nicht in der Lage, die Austrocknung angemessen zu korrigieren, während zu hohe Natriummengen in solchen Tränken zu einer Kochsalzvergiftung führen können.

Kalium bildet das osmotische „Elektrolyt-Skelett“ der Zellen. Wie Natrium und Chlorid geht bei Durchfall auch Kalium über den Kot verloren. Daher können Durchfallkälber, insbesondere bei länger anhaltendem Durchfall, eine starke Erschöpfung der Kaliumvorräte im Körper erleiden. Zu den Anzeichen eines Kaliummangels gehört eine tiefgreifende Muskelschwäche, die bei Kälbern mit lang anhaltenden Durchfall häufig auftritt.

Chlorid bildet zusammen mit Natrium und Kalium das Elektrolyt-Skelett sowohl des Blutes als auch der Zellen. Obwohl Kälber bei Durchfall auch Chlorid verlieren, tritt dieser Verlust im deutlich geringeren Maße auf wie beim Natrium. Somit muss dem Durchfallkalb auch deutlich weniger Chlorid verabreicht werden, um die Austrocknung zu korrigieren.

Auf der einen Seite verliert das Durchfallkalb diese Elektrolyte, wodurch es zu einer Störung des Elektrolythaushaltes kommt, auf der anderen Seite kann der Körper des Kalbes diese Elektrolyte nicht selber herstellen. Sie müssen, insbesondere bei einer Durchfallerkrankung, über eine Elektrolyttränke aufgenommen werden.

Pufferbasen gegen Übersäuerung

Die alkalisierenden Pufferbasen wirken der Übersäuerung des Blutes (Azidose) entgegen. Geeignete Puffer sind Bikarbonat, Acetat, Propionat oder Citrat. Allerdings wirken diese Puffer unterschiedlich. So neutralisiert Bikarbonat neben der Blutazidose auch unerfreulicher Weise die Magensäure im Labmagen. Die Aufnahme Bikarbonat-haltiger Elektrolyttränken kann zu einem starken und anhaltenden Anstieg des Labmagen-pH-Wertes führen. Es kann daher zu einer gestörten Milchgerinnung und -verdauung im Labmagen kommen, die den Durchfall dann eher noch begünstigen.

Des Weiteren ist die Magensäure eine gute Barriere gegen die Besiedlung und Infektion des Magen-Darm-Trakts durch Bakterien. Sie stellt einen primären Abwehrmechanismus gegen Krankheitserreger dar, die übers Maul aufgenommen werden. Bakterien wie E. coli und Salmonellen werden bei einem pH-Wert im Magen zwischen 2,5 und 3,0 abgetötet, während sie sich bei einem pH-Wert von mehr als 5,0 vermehren. Daher ist die Aufrechterhaltung eines niedrigen pH-Wertes im Labmagen entscheidend, um eine Besiedlung des Darmtrakts mit pathogenen Bakterien bei Kälbern zu vermeiden. Folglich kann der Anstieg des pH-Wertes im Labmagen durch Elektrolyttränken mit einer hohen Bikarbonat-Konzentration das Wachstum bakterieller Durchfallerreger erleichtern und damit die Schwere und Dauer des Durchfalls sowie die Sterblichkeit von Durchfallkälbern erhöhen. Deshalb gilt Bikarbonat als veraltete Pufferbase und sollte in modernen Elektrolyttränken nicht mehr enthalten sein.

Propionat und Azetat hingegen wirken nicht neutralisierend auf die Labmagensäure. Sie setzen bei ihrer Verstoffwechselung die Pufferbase „Bikarbonat“ direkt im Blut frei. Die Pufferbase Azetat hat im Gegensatz zu Propionat zudem den großen Vorteil, dass sie in fast allen Geweben, insbesondere in der Muskulatur, zu Bikarbonat verstoffwechselt wird. Daher kann die Pufferbase Azetat deutlich schneller die Azidose korrigieren als andere Pufferbasen. Außerdem bleibt die Milchverdauung im Labmagen ungestört: Milch- und Elektrolyttränke können gemeinsam oder nacheinander verfüttert werden. Das Kalb kann wieder Wasser und Energie aufnehmen, um sich zu erholen. Deshalb sollte in der modernen Durchfallbehandlung nicht bei der Wahl der Pufferbasen gespart werden und Elektrolyttränken mit Azetat als ideale Pufferbase gewählt werden.

Glucose, der Energiespender

Die Glucose ist nicht nur für die Aufnahme von Wasser (siehe unten) erforderlich, sondern füllt auch die Energiespeicher des Kalbes auf. Sie wird auch Dextrose oder ganz einfach Traubenzucker genannt und ist wichtiger Bestandteil des Milchzuckers (Laktose). Der Blutzucker (Blutglucosespiegel) ist entscheidend für die Bereitstellung von Energie im Körper. Ein Durchfallkalb hat einen höheren Energiebedarf als ein gesundes Kalb. Es muss zur Aufrechterhaltung der Immunabwehr und für die Regeneration der Darmschleimhaut zusätzliche Energie aufbringen. Die Elektrolyttränken müssen diese Energie über leicht verdauliche Nährstoffe unter anderem über Glukose bereitstellen, damit sie dem Kalb schnell zur Verfügung steht. Eine weitere schnell verfügbare Energiequelle ist die Pufferbase Azetat, die bei der Verstoffwechselung zu Bikarbonat ebenfalls Energie liefert. Noch ein wertvoller Vorteil für die Wahl von Azetat als Pufferbase.

Zusammenspiel von Natrium, Glukose und Acetat bei der Korrektur der Austrocknung

Wenn der Darm durch die Durchfall-Erreger geschädigt ist, erfolgt die Wasseraufnahme nur noch unter der Bedingung, dass Natrium im Dünndarm zusammen mit Glukose vorhanden ist. Liegen Glukose und Natrium nicht im richtigen Verhältnis zueinander vor, gibt es entweder nur eine geringe oder keine Wasseraufnahme aus dem Darm ins Blut. Dieser Prozess der Wasseraufnahme bei geschädigtem Darm wird durch die Zugabe von Glycin und Acetat in der Elektrolyttränke unterstützt und verbessert.
Da dieser Mechanismus in den 1960er Jahren gut verstanden wurde, bestanden seit dem alle Elektrolytränken aus Natrium und Glukose. Allerdings benötigte es viele Jahre der Entwicklung, um die richtigen Mengen dieser Stoffe für eine maximale Wasseraufnahme zu ermitteln.

Darmschutz – Laktoferrin

Lactoferrin ist ein natürlicher Schutzschild, der im gesamten Darm gegen krankmachende Bakterien, Viren und Gifte wirkt. Ein hoher Gehalt an Lactoferrin in der Elektrolyttränke neutralisiert bakterielle Gifte, bekämpft Bakterien und verhindert, dass Viren an der Darmwand anheften können.

Im Allgemeinen sollten Elektrolyttränken als zusätzliche Mahlzeit an Kälber mit Durchfall gefüttert werden. Wenn Kälber normalerweise dreimal täglich (morgens, mittags und abends) gefüttert werden, sollten die Elektrolyttränken als Zwischentränken, d.h. zwischen den Milchtränken, verabreicht werden.
Wenn die für die zusätzliche Fütterung erforderliche Arbeit nicht verfügbar ist, können Elektrolytprodukte zusammen mit Milch gefüttert werden (insbesondere Produkte, die Acetat oder nur sehr niedrige Bikarbonat-Mengen enthalten). Allerdings sollte diese Variante nur in Ausnahmefällen durchgeführt werden, und es sollte darauf geachtet werden, dass die Kälber dann freien Zugang zu frischem Trinkwasser haben. Einige Betriebe ziehen es vor, Durchfallkälbern den ganzen Tag über ständigen Zugang Elektrolyttränken anzubieten. Unabhängig vom Fütterungsplan für Elektrolyttränken ist es für das Tierwohl erforderlich, dass die Milch und/oder der Milchaustauscher ohne Unterbrechung gefüttert werden.

Früher war es üblich, bei der Behandlung von Kälberdurchfall die Milchfütterung abzusetzen. Dieses veraltete Konzept basierte auf dem Prinzip, dass die Milch im Darm Nährstoffe liefert, die die Bakterien als Energiequelle nutzen können. Dies würde dann zu einer weiteren Fehlverdauung von Nährstoffen (Verstärkung der Azidose und der Wasserausscheidung) führen. Heute gelten diese Ideen als veraltet und tierschutzrelevant: Durchfallkälber können nicht gesund gehungert werden. Die Forschung zeigt, dass die Milchfütterung Durchfall nicht verlängert oder verschlimmert. Im Gegenteil Durchfallkälber, die weiterhin Milch erhalten, nehmen während des Erkrankungszeitraums an Gewicht zu, während die Kälber, die in dieser Zeit keine Milch erhalten, deutlich an Gewicht verlieren.
Allerdings wenn Kälber depressiv sind und sich weigern zu saufen, kann die Milch für höchstens eine Fütterung (12 Stunden) zurückgehalten und durch eine energiereiche Elektrolyttränke ersetzt werden. Die Milchfütterung sollte jedoch immer innerhalb von 12 Stunden wieder aufgenommen werden.

Zusammenfassung

Elektrolyttränken sind nach wie vor das Markenzeichen der Routinetherapie zur Behandlung von Durchfall bei neugeborenen Kälbern. Es ist wichtig, dass Kälberhalter in der Lage sind, die Austrocknung genau zu beurteilen und zu verstehen, dass Elektrolyttränken so schnell wie möglich verwendet werden müssen. Insbesondere gilt es, die bedeutenden Unterschiede in der Zusammensetzung kommerziell erhältlicher Elektrolyttränken richtig beurteilen zu können. Nicht alle Tränken sind gleich gut, und die Wahl, welches dieser Produkte verwendet werden soll, ist eine wichtige Entscheidung für das Kälberwohl.